Yoga trainiert Körper, Geist und Seele. Aber selbst einer der gefragtesten Lehrer wie Young-Ho Kim hat klein angefangen – Und zwar mit großen Träumen, die den gebürtigen Südkoreaner in kleinen Schritten von Deutschland aus die Welt in den Fluss bringen ließen.
Die einen mögen sich ihren Kick holen, indem sie sich Felsklippen hinabstürzen. Die anderen vielleicht dadurch, dass sie ganz profan flüssig kredenzt ihren Koffeinspiegel hinaufschnellen lassen. Und wiederum andere betrachten dafür einfach die Welt auf den Kopf gestellt. So wie Young-Ho Kim. Denn Adho Mukha Vrikshasana mache, so der Yogalehrer, schlicht und ergreifend süchtig: „Ich mag den Handstand so sehr, weil dabei dein ganzer Körper arbeitet. Aber auch, weil er superehrlich ist, dabei kannst du nichts faken. Du hast es drauf – oder eben nicht.“
In einer Yogawelt, in der zurzeit oft der schöne Schein in Form von noch schöneren Instagram-Bildern zelebriert wird, erscheint die Frage nach dem Sein wichtiger denn je. Kim sagt: „Sechsstellige Follower-Zahlen machen noch lange keinen guten Lehrer!“ Aber was dann? Vor allem eines: Authentizität. Für ihn gebe es nichts Widerlicheres als Yogalehrer, die etwas vorgeben zu sein, das sie nicht sind: „Das fängt schon bei der Stimme an. Du hast Leute, die außerhalb des Studios ganz normal mit dir reden und dann ihre pseudoerleuchtete Stimme auspacken.“ Kritisch sehe er auch Dinge, die man nur macht, weil sie von einem Yogalehrer erwartet werden. „Ich würde etwa nie auf die Idee kommen, Mantras zu chanten, das ist nicht mein Ding.“
"Ich will der Rodney Yee von Europa werden!"
Yoga an sich ist aber seit 20 Jahren vollends Kims Ding. Die Liebe dazu brachte der gebürtige Südkoreaner, dessen sportliche Wurzeln im Taekwondo liegen, aber nicht aus seiner Heimat mit – er sollte sie mit Anfang 20 andernorts erst finden. „Asien hat mich damals überhaupt nicht interessiert. Jedes Mal, wenn ich genug Geld zusammen hatte, bin ich in die USA.“ 1998 reichten die Ersparnisse für eine Reise an die Westküste. Es war dort die Zeit des ersten großen Asana-Booms. Jeder machte damals in Kalifornien Yoga – und so machte es Kim zum Ausprobieren eine Woche lang mit einer Fülle unterschiedlicher Klassen auch. Zum schicksalsschweren Yoga-Erlebnis sollte es dennoch nicht auf der Matte kommen. In einer Buchhandlung stolperte er über Rodney Yee, einen Yogalehrer, der damals mehr als eine Million Videokassetten verkauft hatte: „In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich mir gesagt: Ich will der Rodney Yee von Europa werden!“
Millionen DVDs hat Kim seit damals zwar nicht verkauft – vor allem, weil man sich heute den Yogalehrer meist online ins Wohnzimmer holt. Ausgezahlt hat sich die Unvernunft der frühen Jahre à la longue trotzdem: „Inside Yoga“ in Frankfurt avancierte zum größten Studio Deutschlands, an der angeschlossenen Akademie wird mit einem Team laufend eine Vielzahl an Lehrern aus- sowie weitergebildet und ein Gros des Jahres bringt der 42-Jährige als international gefragter Trainer Menschen von Österreich bis Thailand so sehr in den Fluss, dass der Schweiß fließt.
So weit, so gut. Die Anfangszeiten waren aber alles andere als gut. Schonungslos ehrlich sagt Kim heute: „Es war richtig scheiße. Ich war ständig blank, konnte nicht einmal die Versicherung für mein Auto bezahlen und wurde immer wieder beim Schwarzfahren erwischt.“ Pro Woche hielt er in acht Studios einzelne Kurse. Und er gab sein Maschinenbau-Studium auf – lediglich drei Prüfungen fehlten bis zum Abschluss. Keine leichte Entscheidung, schließlich waren seine Eltern 1989 extra nach Deutschland ausgewandert, um ihren Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen. Der Frankfurter erklärt: „Südkorea hat zwar eines der besten Schulsysteme der Welt, aber nur, wenn du reich bist, und meine Eltern waren arm.“ Heute leistet sich Kim etwas, das früher undenkbar gewesen wäre – einen freien Tag pro Woche: „Der Dienstag ist mein Tag, der gehört nur mir. Da mache ich auch kein Yoga.“
Ich habe mit Mönchen gelebt und mit ihnen meditiert. Eigentlich war mein Plan, Zen-Mönch zu werden.
Aus dem Koffer
An sehr vielen anderen Tagen ist der dreifache Vater aber unterwegs: 200 pro Jahr lebt er aus dem Koffer. Kennt jemand wie er, dessen Zuhause ein Gutteil des Jahres die Welt ist, so etwas wie Heimweh überhaupt? „Auf jeden Fall! Heimat ist für mich dort, wo meine Frau und meine Kinder sind: in Frankfurt. Ich kann nicht länger als zwei Wochen von meiner Familie getrennt sein, sonst drehe ich durch.“ Damit er ausgeglichen bleibt, gibt es die 14-Tage-Regel: Engagements, die länger dauern, werden nicht angenommen. Ein wichtiger Schlüssel zur Gelassenheit ist auch der Zen-Buddhismus, den Kim noch vor dem Yoga für sich entdeckte. „Früher bin ich in den Sommerferien immer für sechs Wochen zurück nach Korea, habe mit Mönchen gelebt und mit ihnen meditiert. Und eigentlich war mein Plan, Zen-Mönch zu werden.“ Warum er sich dann dagegen entschied? „Ganz einfach – ich habe mich total verliebt.“
Heute hat Kim einen Sohn, zwei Töchter und ein Baby – den „Inside Flow“. Abgeleitet vom Vinyasa Flow entsteht dabei aus einem Potpourri an fordernden Asanas (also überwiegend ruhigen Körperstellungen) eine Choreografie zu weltlicher Musik. Die Grundidee? „Mein Yoga war schon immer sehr körperlich, es ist für mich ein Vehikel. Über den körperlichen Zugang kann man Menschen mehr fühlen lassen. Irgendwann wollte ich das mit Musik verbinden, die noch dazu für mich authentisch ist. Und das sind bei mir eben keine esoterischen Klänge, das ist Popmusik.“ So schreibt er etwa Flows zu Songs von Ed Sheeran oder Lady Gaga. Und ist alles im Fluss, fließen mitunter auch Tränen: „Es gibt da gerade diesen großartigen Film, ,A Star Is Born‘. Ich habe dazu einen Flow gemacht – und alle haben geweint. Ich muss nichts erklären, um Emotionen zu erzeugen, das macht die Musik für mich.“
Zu erklären gilt es manchmal dann aber doch etwas – und zwar, wenn Männer Yoga belächeln und als etwas abtun, das kein Sport sei. „Ich verstehe das, vor allem, wenn das Yoga sehr esoterisch ist.“ Die Skepsis liege laut Kim wohl auch darin begründet, dass es keine messbaren Resultate gebe: „Männer sind pragmatischer und wollen direkte Effekte, Frauen sind geduldiger – und wohl einfach intelligenter.“
Apropos Geduld: Mit einer etwas größeren Portion davon könne sich fast jeder zum Handstand-Kick kicken. Der Yogalehrer sagt: „Es kommt natürlich auf die körperlichen Voraussetzungen an, aber mit der richtigen Technik und Anleitung kann man das in ein bis zwei Jahren hinkriegen.“ Man glaubt es ihm, und hat dabei auch sein Lebensmotto im Hinterkopf: „Träume immer groß, aber mach stets kleine Schritte.“ Denn nicht oft im Leben lässt sich mit kleinen Schritten – zumindest für einen selbst betrachtet – die Welt auf den Kopf stellen.