In den Raum gestellt, analysiert und erklärt: fünf Trends, die die XC- und Marathon-Bikes anno 2024 bewegen.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ein XC- oder Marathonbike war vor kurzer Zeit noch ein echter Asket. Reduzierter, möglichst effizienter Federweg, eine auf Vortrieb getrimmte Geometrie mit oft messerscharfem Handling am Trail und möglichst leichte Rahmen und Anbauteile. Dropper und breite Reifen jenseits der 2,2 Zoll? Viel zu schwer. Die rassigen Hardtails und Fullys wollten bergauf dominieren, am technischen Trail von kundiger Hand beherrscht werden. Doch Zeiten ändern sich. 2023 und 2024 erhob sich eine neue Generation XC- und Marathonbikes aus dem Staub der Weltcupstrecken dieser Welt. Bikes, die vor Kurzen noch Downcountry, teils gar Trailbike geheißen hätten. Bikes, die Leichtbau durch Abfahrtsspaß ersetzen und so den immer technischeren Kursen im XC-Weltcup mehr als gerecht werden. Wir haben mit KTM-Konstrukteur Florian Eisenhut und Specializeds Category Lead Mountain Christoph Joch über fünf Trends am XC-Sektor gesprochen.

1. Moderne Geometrien
Um den Anforderungen moderner Rennstrecken, sei es den kurzen XC- oder den langen Marathondistanzen, sowie den Einsatzbereichen der Hobbysportler gerecht zu werden, benötigt es Geometrien mit längeren Oberrohren, flacheren Lenkwinkeln und steileren Sitzwinkeln, weiß Florian Eisenhut. Zusätzlich wird durch die dadurch kürzeren Vorbauten ein direkteres Lenkverhalten erzielt, breitere Lenker geben mehr Stabilität und Kontrolle. Mögliche dadurch bedingte Zeiteinbußen im Anstieg werden durch Zeit- und Kraftersparnis bergab mehr als nur kompensiert, so der KTM-Konstrukteur.

Wie stark die Nachfrage der Weltcup-Elite nach modernen Geometrien war und ist, zeigt sich auch bei Specialized. Hier, lässt Christoph Joch hinter die Kulissen blicken, waren vor Einführung des neuen Epic 8 viele Fahrer auf der Downcountry-Variante des alten Epic-Fullys mehr als erfolgreich auf Sekundenjagd im XC-Zirkus unterwegs.

2. Mehr Federweg
Aus Punkt 1 ergibt sich für Christoph Joch auch direkt Punkt zwei, die Sache mit dem Mehr an Federweg. 120 mm fand man früher an Tourenfullys, heute sind sie an XC- und Marathonmaschinen keine Seltenheit mehr. „Reichen für die Marathonstrecken dieser Welt meist 100 mm noch aus, sind auf XC-Strecken oft 120 mm fast ein Muss“, erklärt Florian Eisenhut. Das Mehrgewicht der Gabel sieht er als vernachlässigbar, beim Dämpfer ist es sowieso mehrheitlich ident. Wie schon bei der Geometrie ergibt sich durch das Mehr an Federweg eine spürbare Kraftersparnis und mehr Kontrolle bergab.

3. Volle Integration
Das Thema der Integration ist, wie es Florian Eisenhut treffend beschreibt, „ein sehr zweischneidiges Schwert“. Einerseits sind Züge und Leitungen durch die Integration besser geschützt und das gesamte Fahrrad sieht schlichtweg „aufgeräumter“ aus. Allerdings, so räumt der Konstrukteur ein, wird auch die Wartung aufwendiger – für typische Problemstellen sieht er aber schon Lösungen am Horizont. Auch den integrierten Stauraum – am von ihm entwickelten neuen KTM Scarp bewusst weggelassen, am Specialized Epic 8 Standard – sieht er zwiegespalten. XC-Racer mit Mechaniker und Ersatzmaterial in der Tech-Zone schleppen damit konstruktionsbedingt unnötiges Zusatzgewicht mit. Bei Hobby-Sportlern oder in der Marathon-Fraktion sieht die Sache schon ganz anders aus – hier ist das Zusatzgewicht des Stauraums mit dem einer Satteltasche vergleichbar.

4. Tubeless und TPU ersetzen Butyl
Ein weiterer Trend: Butylschläuche sind passé. Auch wenn der Aufbau von Tubeless-Reifen doch mit etwas mehr Aufwand verbunden ist, spricht für Florian Eisenhut alles für Tubeless. TPU-Schläuchen, wie sie im Amateurbereich immer mehr Freunde finden, kann er im sportiven Bereich einzig den Vorteil des geringen Packmaßes und Gewichts als Ersatzschlauch abgewinnen, für den Fall, dass die Dichtmilch bzw. der Reparatur-Plug nicht zur Behebung eines Lochs im Reifen ausreicht. Die enormen Komfort- und Traktionsvorteile moderner Tubeless-Systeme in Verbindung mit breiten Reifen, passenden Felgen und dem Mut zum niedrigeren Luftdruck sind enorm. Im XC-Weltcup, um ein Beispiel aus Specialized-­Kreisen zu nennen, wird je nach Kurs bei 65 kg Körpergewicht mit 1,1 bis 1,2 bar gefahren. Mitunter gehen Leichtgewichte im Sattel auch unter 1 bar Reifendruck. Unsicher? Hersteller Schwalbe bietet hier mit dem „Pressure Prof“ ein praktisches Online-Tool zur Findung des richtigen Drucks.

5. Breitere Felgen und Reifen
Moderne Geometrien, mehr Federweg – all das zeugt davon, dass der extreme Leichtbau, wie er vor einigen Jahren noch Standard war, aktuell durch mehr Gewichts-Akzeptanz ersetzt wird. Das zeigt sich auch in breiteren und somit etwas schwereren Felgen und Reifen. Gerade in Kombination mit Geometrie und Federweg sind für beide Experten breite Felgen und Reifen im Tubeless-Setup ein logisches Muss. „Die bessere Performance und der bessere Grip der breiten Reifen – hier wurden auch schon 2,5“ im Weltcup gesichtet – auf entsprechend breiten Felgen ist unbestritten.“ Betrachtet man die vorangehenden Punkte, so ist es im Grunde das Komplettpaket aus Reifen und Felgen, mehr Federweg und traillastigeren Geometrien, das ein modernes XC oder XCM-Bike ausmacht – leichter macht all dies das Fahrrad natürlich nicht. „Aber leicht bedeutet auch nicht zwingend schnell“, wie Florian Eisenhut als letzte Weisheit mit auf den Weg gibt.