Gerald Fister aus Finkenstein in Kärnten ist einer der besten Ultra-Trailrunner in Österreich. Vor allem aber wird man kaum einen Einzelsportler finden, der sich so oft einen Sieg mit anderen teilt wie „Sancho“ vom Faaker See.
Gerald Fister zeigt ein Notizbücherl und sagt: „Für 2017 stehen 279.000 Höhenmeter drin.“ Dem Fitnessläufer geht es bei dieser Zahl wie mit den versenkten Hypo-Milliarden: Zu groß, als dass man sie einordnen kann. Der Ultra-Trailrunner erkennt den ratlosen Blick: „Rechnet man 5000 Höhenmeter wöchentlich, sind es 260.000. Das ist schon ganz ordentlich.“ Damit aber jetzt kein falsches Bild entsteht: Der kleine Kärntner mit dem markanten Bart ist keiner, der mit seinen Leistungen hausieren geht. Im Gegenteil.
Beim „Trail“, wie Fister seine Sportart nennt, fehlt einem Außenstehenden schnell einmal die Vorstellungskraft. Allein, wie sich das ausgehen kann: Fulltime-Job, Training und Teilnahme an Bewerben mit schwindelerregenden Eckdaten rund um 100 Kilometer sowie 5000, 6000 oder mehr Höhenmeter. „Das hab ich mir früher auch nicht vorstellen können“, lacht Fister. „Heut kommt mir ein 40er kurz vor.“ Der Mann mit dem Spitznamen Sancho hat erst mit 29 zu laufen begonnen, Halbmarathon und Marathon, und als gebürtiger Lesachtaler auch bald Bergläufe probiert. Zunächst kurze. „Der Obersprinter war ich aber nie“.
Beim ersten langen Trailevent, dem Jungfrau-Marathon, hat es ihn „zerrissen“. Aber ab da wollte er es wissen, „und ich hab begonnen mit Hand und Fuß überlegt zu trainieren“. 2013 fand nah seiner Heimat der erste Wörthersee Trail statt. Distanz: 125 Kilometer. Eine Woche vorher rannte er einen „55er“ zur Probe. „Da hab ich gewusst: Es geht.“
„Lauf ma gemeinsam ein“
Läuft Gerald Fister heute bei einem Trailrun mit, gewinnt er oft. Je länger die Distanz, desto größer die Siegchance. Aber: Fister gewinnt auffallend oft nicht allein. Mit dem Siegeteilen hat es auch beim Wörthersee Trail angefangen. Dort hat Fister im Rennen einen gewissen Florian Grasel kennengelernt. Die beiden haben sich an der Spitze duelliert und am Ende beschlossen, gemeinsam einzulaufen. „Mit dem Flo ist es ein Wahnsinn – wir ticken im Rennen extrem gleich.“ Viermal hat er sich den Sieg schon mit dem Niederösterreicher geteilt.
Beim Hochkönigman 2017 wurde neben Grasel und Fister auch Andreas Tockner als Exaequo-Sieger ausgewiesen. Beim Großglockner Ultratrail hieß das Siegerduo im Vorjahr Klaus Gösweiner und Gerald Fister. Und beim Bergmarathon rund um den Traunsee Franz-Josef Schögl und Gerald Fister. Keine große Sache, findet Fister: „Bei Straßenläufen gibt es so was nicht – im Trail schon.“ Schließlich sei man stundenlang im relativ niedrigen Belastungsbereich unterwegs, da komme man eben ins Plaudern. Irgendwann folge der Entschluss: „Lauf ma gemeinsam ein.“
Das ist auch etwas, was ihm an der Szene so behagt: „Es ist alles entspannt, jeder ist locker drauf. Wenn du 100 Kilometer vor dir hast, geht es auch gar nicht anders.“ Im Straßenlauf beginne schon im Startblock der Konkurrenzkampf. „Dagegen kenne ich ganz wenige Trailrunner, die verbissen sind.“ Ein, zwei gäbe es schon. Namen erfährt man aus seinem Mund natürlich keinen. Die Lockerheit, die Sancho ausstrahlt, verführt fast zum Gefühl, man könnte selber einmal einen 110er mit 6000 Höhenmetern versuchen. Gut, dass er einen auf den Boden der Realität holt. Etwa so: „Du kriegst in unserem Sport eine extrem hohe Schmerzgrenze. Man leidet stundenlang. Da geht es darum, das Tief zu überbrücken. Man kommt schon wieder heraus.“ Und da kommen wir wieder zum Siegeteilen: „Wenn zwei vorneweg laufen, hat meistens einer ein Tief, und der andere motiviert und zieht ihn. Und später ist es umgekehrt.“
Allein in der Natur
Ob er nicht vom Sport leben könnte? „Ich hab’s tatsächlich einmal überlegt. Aber da hätte ich schon wieder den Druck, gewinnen zu müssen. Oder trainieren zu müssen“, sagt er. Von seinem Wohnzimmerfenster aus hat man einen Wahnsinnsblick auf sein Trainingsgelände, die Berge: Gipfel zum Angreifen. „Es kommt vor, dass ich loslaufe und nach einem Kilometer umdrehe. Dann will der Körper nicht – das hat schon seinen Sinn.“ Wenn es aber passt, genießt er die stundenlangen Läufe, das Alleinsein in der Natur. Einmal hat Fister nach Plan für einen Marathon trainiert – „aber den hab ich nie eingehalten.“ Er hat keinen Pulsmesser, dokumentiert seine Trainingsumfänge per Hand. Siehe oben, im Notizbuch.
Als passionierter Siegeteiler müssten die Trail-Etappenrennen für Zweier-Teams doch etwas für ihn sein? Stimmt: Den TransAlpineRun hat er im Vorjahr mit Kristin Berglund bestritten: „Am Ende ist es der zweite Platz geworden.“ Ein Sieg beim TransAlpineRun, das wäre schon noch ein Traum, sagt er. Heuer wird Fister 40 – für seine Sportart ein ideales Alter. „Bis jetzt bin ich noch jedes Jahr besser geworden.“ Geht sich neben so einem zeitraubenden Hobby noch ein zweites aus? „Schwer“, meint Fister. Der Spitzname Sancho ist ein Relikt vom Theaterspielen, das er aus Zeitgründen aufgegeben hat: „Die letzte Rolle war der Sancho Panza“. Und lässt sich der zeitintensive Sport denn auch mit einem Familienleben vereinbaren? „Es gibt schon viele Trailrunner mit Familie.“ Er selbst war einmal verheiratet – „jetzt bin ich aber schon seit fast zehn Jahren bewusst allein. Obwohl: Jetzt wird es vielleicht doch wieder einmal Zeit, das zu ändern“, lacht er.
Denn natürlich kann einer, der sich den Sieg gern teilt, gar kein ungeselliger Typ sein. Die Kameradschaft bei den Events sieht er als guten Ausgleich fürs Training, das lange Alleinsein in der Natur – „das brauchst du auch, sonst wirst du eigen“. Ein typisches Trailrunning-Wochenende laufe so ab: „Eine Nacht laufen, eine Nacht feiern.“ Noch eine Information, die man als Außenstehender nur schwer packt: Nach 10, 15 Stunden laufen sollte man eher glauben, dass man nur noch ins Hotelbett fällt. Auf der anderen Seite ist es auch irgendwie logisch: Auf einen Sieg gehört angestoßen. Und auf einen geteilten
Sieg erst recht.