Er ist Primar für Anästhesie und Intensivmedizin in Salzburg. Und seit Sommer 2020 Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit. Grund genug, mit dem Notarzt, Bergrettungsarzt und Alpinisten Peter Paal ein Gespräch zu führen.
Sie haben Ihr Amt als Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit (ÖKAS) zu Beginn des Ausnahmesommers 2020 angetreten. Welche Auswirkungen auf die alpine Sicherheit sind seit dem Frühjahr zu beobachten?
Durch den Lockdown waren viel weniger Menschen am Berg unterwegs. Das hat von Ende Winter bis Juni zu einem massiven Rückgang bei Unfällen und Toten im alpinen Raum geführt. Seit Juli sind die Unfälle und damit auch die Menge der Rettungseinsätze weit überdurchschnittlich angestiegen. Das liegt daran, dass die Menschen mehr denn je hinaus in die Berge wollen. Die höhere Frequenz führt zu einer objektiven Steigerung der Gefahren. Bestes Beispiel: Bergsteiger, die – wie etwa auf der Zugspitze – sich anstellen müssen, um zum Gipfel zu gelangen.
Wie war und ist es am Berg um Covid-19-gerechte Verhaltensweisen bestellt?
Aufgrund der Menge an Menschen am Berg, aber auch aufgrund von Unbekümmertheit wurden Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen oft nicht eingehalten. Teilweise fehlte der Wille dazu, etwa wenn auf hochgelegenen Schutzhütten Maskenträger die absolute Ausnahme waren. Sehr positiv ist, dass sich vielfach die Menschen selbst reguliert haben, etwa um Abstand zu halten. Auch bei der Seilbahnbenützung wurden die Sicherheitsmaßnahmen, trotz der vielen Gäste, weitestgehend eingehalten.
Was an Verhaltensweisen am Berg empfehlen Sie ganz besonders?
Covid-19 verschont niemanden. Und es ist zwei- bis dreimal so ansteckend wie die Grippe. Die Hygienerichtlinien gelten für jeden. Die Basics – Abstand halten, Händehygiene bzw. -desinfektion, richtiges Verhalten bei Husten und Niesen sowie Maskenpflicht – führen, das wissen wir aus aktuellen Studien, zu einer sehr deutlichen Reduktion des Infektionsrisikos. Outdoor ist dank des Luftzugs die Infektionsgefahr geringer. Indoor hingegen – in warmer genauso wie in kühler Umgebung – steigt das Risiko deutlich. Deshalb ist Maske tragen immer dann, wenn man mit Menschen von außerhalb des eigenen Haushalts beisammen ist, etwa bei Menschenansammlungen oder bei Autofahrten, wichtig.
Insgesamt rechnen wir im Winter mit teils deutlich mehr Menschen am Berg, denn der Wunsch hinauszukommen ist groß.
Was erwartet uns im Winter 2020/21?
Wegen der Übertragungsmöglichkeit in kühler Luft darf man Covid-19 beim Bergsport im Winter keinesfalls unterschätzen. Die Maskenpflicht wird uns den ganzen Winter über begleiten. Beim Outdoorsport sehe ich – wird der Abstand eingehalten – kein Problem. Auch Indoor, etwa in Kletterhallen, ist Abstand und gute Durchlüftung vorausgesetzt, das Risiko gering; zumal wir bisher vielfach eine nicht sehr große Personenfrequenz und diszipliniertes Verhalten feststellen. Insgesamt rechnen wir im Winter mit teils deutlich mehr Menschen am Berg, denn der Wunsch hinauszukommen ist ungebrochen. Die sehr beschränkten internationalen Reisemöglichkeiten tun ein Übriges dazu. Schneeschuhwandern, Pistengehen und Skitouren, aber auch Rodeln werden deutliche Steigerungen verzeichnen.
Wird es deshalb deutlich mehr Lawinenunfälle geben?
Ich hoffe nicht, zumal es in den letzten Jahren dank gemeinsamer Bemühungen der alpinen Vereine und des ÖKAS durch Information und Aufklärung gelungen ist, die Anzahl der Lawinentoten zu reduzieren. Weil gleichzeitig die Menge der Personen, die im freien, alpinen Gelände unterwegs ist, um ein Mehrfaches angestiegen ist, gilt die Reduktion der Lawinenopfer als beachtlicher Erfolg.
Wo liegen, abseits von Covid-19, die großen Herausforderungen bei der alpinen Sicherheit?
Auch wenn es unspektakulär klingt, konsequent auf Prävention, Schulung und Aufklärung zu setzen, bringt enorm viel, um im Sommer wie im Winter die Anzahl der Unfälle und der Toten so gering wie möglich zu halten. Gerade weil es viele Bergneueinsteiger gibt – hauptsächlich junge Menschen, aber auch Ältere – ist die Herausforderung groß, auch sie bezüglich Prävention „abzuholen“. Ebenso herausfordernd ist es, die Touristen, die es in unsere Berge zieht, gezielt zu informieren. Hier sind wir sehr gefordert, bewährte und neue Kommunikations- und Medienkanäle gleichermaßen zu bespielen.
Auch auf den Sommer bezogen gibt es große Themen?
Wir stellen einen Run auf Sommer-Outdoor-Sportarten, genauso aber auch auf Indoor-Angebote wie Kletterhallen fest. Klettern, inklusive Bouldern, ist zum Breitensport geworden. Hier das Risikobewusstsein zu stärken, etwa dass das Bouldern unfallträchtiger ist als das Alpinklettern oder das Eisklettern, ist uns wichtig. Weil das Biken, insbesondere das E-Biken, boomt, sind auch dafür Sicherheitsempfehlungen essenziell. Wohl auch, weil viele mit dem jeweiligen Sport wenig vertraute Menschen neu damit beginnen. Und nicht vergessen darf man auf zentrale Basics wie Tourenplanung oder Verhalten im Notfall.
Was wollen Sie im Rahmen Ihrer Präsidentschaft des ÖKAS erreichen?
Das Jahr 2020 steht im Zeichen der Konsolidierung, denn die Krise hat auch uns getroffen. Parallel dazu planen wir eine Fülle neuer, vor allem auch digitaler Akzente. Insgesamt wollen wir die Menge der Outdoor- und Bergsportler, die wir mit unseren Informationen erreichen, deutlich steigern. So soll das Sicherheitsbewusstsein multipliziert werden. Zusätzlich zur Sicherheit für den Menschen ist uns der Naturerhalt sehr wichtig. Auch das stellen wir in den Fokus unserer Aufklärungsarbeit. Auf Expertenebene ist mir eine noch stärkere internationale Vernetzung etwa mit Deutschland, der Schweiz und Südtirol bezüglich alpiner Sicherheit ein großes Anliegen.
Die Alpinmesse in Innsbruck findet erst wieder im Herbst 2021 statt. Das Alpinforum planen Sie wie gewohnt abzuhalten?
Covid-19 verhindert heuer die Alpinmesse. Das gibt uns die Möglichkeit, der ein breites bergbegeistertes Publikum ansprechenden Messe ab 2021 ein neues Gewand zu geben. Das Alpinforum als Plattform von Experten für Experten findet am 14. November 2020 planmäßig, Covid-19-gerecht, aber auch in digitaler Form statt.
Alpinforum & Alpinmesse
Das Alpinforum (Expertentagung) und die Alpinmesse (Bergsport-Publikumsmesse) in Innsbruck sind Veranstaltungen des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit. Die nächste Alpinmesse findet ein Jahr später und wie geplant am 13./14.November 2021 statt.
Alpinforum 2020
- Expertenforum für aktuelle, alpine Fachthemen
- Samstag, 14.11.2020, ganztägig
- Ort: auf Grund der COVID-19-Einschränkungen digital
- Zielgruppen: Multiplikatoren im Bergsport & Bergsportler, die sich für Sicherheit und Unfallprävention am Berg interessieren.
- Programm mit Vorträgen & Workshops
- Themen 2020 (kleine Auswahl): „Führen am Berg – wer darf was?“, „Führen am Berg zwischen Kundendruck und Vernunft“, „Notfall – wie reagieren, was tun?“, „Lawinensicherheit – Airbags, LVS & Co“ u.v.m.
- Anmeldung (verpflichtend) & Ticketkauf online
- www.alpinesicherheit.at