In der Sendung Universum oder beim Zoobesuch mit den Kindern mag ein herumspringendes Äffchen etwas Beruhigendes haben. Unter der Schädeldecke ist es das Gegenteil. Selbstversuch einer Laufrunde gegen die rasenden Gedanken.

Christof Domenig
Christof Domenig


Zwischen Eins und Vier ist ein Weltsong von Rainhard Fendrich, aber auch eine lange Zeitspanne, wenn man im Bett liegt, in die Dunkelheit starrt und das Hirn Granada spielt. Viel zu viele Anforderungen in viel zu kurzer verbleibender Zeit – kennt das wer? Wenn nicht: Muss man nicht kennenlernen. Nach vier geht’s dann langsam wieder, das hat angeblich mit dem nachts absinkenden Serotonin zu tun. Aber es ist ein sicheres Zeichen, dass man etwas für sich machen sollte. Sport zum Beispiel. Ob es mit der fortschreitenden Digitalisierung aller Lebensbereiche oder sonstigen Wirren der Zeit zu tun hat – jedenfalls bin ich in letzter Zeit öfters über die Begriffe „Mindful Running“ bzw. „Achtsames Laufen“ gestolpert: Das wird, verkürzt, als eine Art Meditation in Bewegung oder Antistress-Laufen beschrieben.

Das kann ich jetzt brauchen. So lande ich bei Johannes Huber: Der Grazer hat seine Diplomarbeit zum Thema „Laufen und Meditation“ schon 2004 geschrieben. Mit dem Heerespilotenausbildner Eligius Adam hat Huber dann später den „Alphalauf“ entwickelt. Adam war auf der Suche nach einer Methode, die es den körperlich erschöpften, aber geistig aufgedrehten Militärpiloten nach einem Flugtag ermöglichen sollte, zur Ruhe zu kommen. Warum eigentlich „Alpha“? Das hat mit den Gehirnwellen zu tun. Im entspannten Alphazustand schwingen sie mit 8–12 Hertz, im Betazustand mit bis zu 30 und im Gammazustand mit bis zu 120 Hertz. Meist rasen wir in Beta bis Gamma durch die Welt. Nicht nur die Heeresflieger, sondern wir alle, bei den unzähligen Eindrücken, die auf uns einprasseln. 
 

Meditation ist die Kunst, sich jedem Augenblick mit ruhiger Bewusstheit zu öffnen.

Es passt auch wie die Faust aufs Aug, dass mir an jenem Dienstag im Mai, bevor ich mich mit Johannes Huber treffe, gleich zweimal der Computer abstürzt, weil mein bescheidenes WLAN im Home­office mit großen Datenmengen offenbar auf Kriegsfuß steht. Fotograf Thomas, der sich schon länger mit Meditation beschäftigt, brieft mich auf dem Weg zum Treffpunkt schon ein wenig. Zum Beispiel, was denn der oft (auch von mir) so achtlos verwendete Begriff „Achtsamkeit“ eigentlich bedeutet. „Dass man das, was man macht, richtig und im vollen Bewusstsein macht. Möglichst ohne andere Gedanken, Sorgen und Ablenkung. Regelmäßige Achtsamkeitspraxis hilft, wieder mehr im Moment zu sein, den Moment mehr zu genießen.“ Das ist natürlich eine verkürzte Wiedergabe, klingt aber gleich greifbarer. Es deckt sich auch mit dem, wie Johannes Huber Meditation in Kürzestform auf den Punkt bringt. Mit Victor N. Davich nämlich und dessen Satz: „Meditation ist die Kunst, sich jedem Augenblick mit ruhiger Bewusstheit zu öffnen.“ 

Huber ist übrigens nicht nur Ultraläufer mit einer Bestmarke von 76,9 Kilometern im Sechs-Stunden-Lauf, sondern auch Doktor der (katholischen) Theologie. Er bedient sich aber auch im Buddhismus und weiteren Religionen wie Philosophien. Alphalauf sei generell auch nichts, an das man glauben müsse, sondern wissenschaftlich hinterlegt: Mit Erkenntnissen aus Neurologie, Kardiologie oder auch Orthopädie. Die beruhigende Wirkung ist zum Beispiel über die Herzratenvariabilität nachgewiesen. Alphalauf ist aber auch keine Technik, die man einmal schnell erlernt und dann jederzeit reproduziert, schickt Huber ebenfalls voraus: Es sei ähnlich wie im Kung Fu der Shaolin (das er ebenfalls praktiziert) zu sehen: Lebenslang versuchen, sich einem Ideal zu nähern. Und es ist Lauftechnik und Einstellung zugleich.
 

Annäherung in fünf Phasen
Nähern wir uns also: Zunächst nicht laufend, sondern gehend. Wir spüren unseren Körper von Fuß bis Kopf: Der „Body Scan“ ist die erste von fünf Phasen des Alphalaufs. Fußsohlen, Kniekehlen, Hüften, Rücken, Schultern bis hin zu den Gesichtsmuskeln, die möglichst entspannt sein sollen. „Wenn du gleich losrennst, nimmst du den Stress vom Alltag mit in den Lauf. Du tust zwar etwas, aber im Kopf wirst du nicht frei, hängst immer den gleichen Gedanken nach. Die Körperwahrnehmung hilft uns, mit der Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zu gelangen“, erklärt Huber. 

Phase zwei ist der Alpha-Rhythmus. Entspannung hänge wesentlich am Rhythmus. Langsames Lauftempo, Schrittfrequenz um 160, den Körper leicht geneigt, Mittelfußauftritt. Tapp, tapp, tapp, tapp machen die Fußsohlen. Der Ellbogenwinkel soll größer als 90 Grad sein, das nimmt Tempo raus.

„Das Monotone zählt, wie Schafe zählen“, erklärt Huber am Übergang zur Phase drei: „Der Geist ist ein Äffchen, das herumspringt. Durch Zählen oder ein Wort kommst du weg von den Gedanken wie: Was habe ich heute noch alles zu tun? Du versuchst quasi nichts zu denken. Das geht zwar nicht, aber du wirst ruhiger.“ Eins, zwei, drei, vier, Schritt, Schritt Schritt, Schritt. Oder: AL-PHA-RHYTH-MUS. In der Transzendental-Meditation sage man sich fortwährend ein Wort vor, das nichts bedeutet, folglich auch keine Assoziation hervorruft, weder positiv noch negativ.

Phase vier ist die „persönliche Phase“. Auch dafür gibt’s ein paar Werkzeuge zum alleinigen Üben mit. „Wenn du die Aufmerksamkeit auf einen Sinn lenkst, kommst du leichter zur Ruhe. Wenn wir auf einem Berg stehen und in die Landschaft schauen oder am Meer stehen und das Rauschen hören, dann machen wir das ganz unbewusst. Man kann es auch bewusst einsetzen.“ Hören: die Fußsohlen auftappen, die Vögel zwitschern, den Wind in den Blättern rascheln – oder auch den Rasenmäher brummen. Riechen: die blühende Blumenwiese ...
Dass wir einen Traumtag am grünen Grazer Stadtrand erwischt haben, hilft. Es ist aber fürs Alphalaufen keineswegs Voraussetzung: Es funktioniert überall, zwischen Häuserschluchten wie im strömenden Regen.
Man kann Alphalaufen auch zu zweit und, ja, man kann, wenn man einmal drin ist im Rhythmus und es locker läuft, natürlich auch plaudern. „Schweigegelübde gibt es keines“, lacht Huber. Das Lauftempo sollten aber alle als angenehm und anstrengungsfrei empfinden, größere Gruppen sind daher nicht ideal.

In der letzten Phase („Cool down“) geht man dann wieder und spürt ganz am Ende noch einmal seine Fußsohlen. Was im Buddhismus übrigens als „Mindful Walk“ stundenlang praktiziert wird. So schließt sich im Alphalauf der Kreis.

 

Wenn du am Meer steht und dem Rauschen zuhörst, kommst du zur Ruhe. Das kann man auch bewusst einsetzen.

Und was hat’s gebracht?
Ob man es glaubt oder nicht: Bei mir hat der erste Alphalauf voll gewirkt. Vielleicht war es auch die Frühlingssonne und die Bewegung im Grünen, die mitgespielt haben. Jedenfalls war mir meine sich schon wieder stauende To-do-Liste nach dem Termin egal und ich hab meinen Computer an dem Tag gar nicht mehr eingeschaltet. Sagt es halt nicht meinem Arbeitgeber weiter. Dafür hab ich selig geschlummert, wie es sogar meine Kinder nur selten tun, und war tags darauf voller Tatendrang. Und ich hab nach dem Lauf mit Johannes Huber jetzt ein inneres Werkzeugkisterl, um mit Alphalauf-Runden das ­Äffchen im Kopf im Zaum zu halten.

Alphalauf
 

Die Kriterien:

  • 152-168 Schritte pro Minute
  • 65-75 Prozent der max. Herzfrequenz
  • 30 bis 60 Minuten pro Einheit
  • 3 x pro Woche
  • Benefit über Herzraten-Variabilität nach acht Wochen messbar

Tipp: Beim SPORTaktiv-Lauf- & -Yoga-­Camp in Loipersdorf (St) bringt Johannes Huber unseren Leserinnen und Lesern den Alphalauf näher. Alle Infos zum Camp findet du HIER.

Dr. Johannes Huber
Dr. Johannes Huber

entwickelte mit Eligius Adam den Alphalauf, Geschäftsführer „alphalauf international“, bietet Seminare, Aktivwochenenden sowie Alphameditation an.

Web: www.alphalauf.at