Skifahren in seiner Urform war einst als das erdacht, was Freeriden heute darstellt. Unser Tipp: Mit kundiger Begleitung einfach mal ausprobieren.
Variantenfahren, ade, von Anglizismen vereinnahmte Jugend und Junggebliebene gehen seit Jahren mit breiten Brettern unter den Skischuhen freeriden. Wirklich neu ist das Fahren im freien Gelände aber nicht. Schließlich gab es zu Zeiten eines Toni Schruf oder Mathias Zdarsky (also ab 1890), aber auch bis in die 1950er und darüber hinaus überhaupt keinen gesicherten Skiraum (sprich: Pisten), den man hätte ins freie Gelände verlassen können. Die Pioniere des Skisports, sie befanden sich mehr oder minder immer im freien Gelände. Gemeinschaftlich platt gestampfte (bitte dazu nicht nur aufgrund der Ausseer Wurzeln des Autors unbedingt „Aufitretln Und Abiwedln“ der Ausseer Hardbradler nachhören) oder gar maschinell plattgewalzte Pisten wie heute gab es damals nicht.
Mit den bequemen Liften und präparierten Pisten verlor das deutlich anspruchsvollere Abfahren abseits davon für die Massen zunehmend an Attraktivität. Für Einheimische und Eingefleischte markierten aber einige Gebiete zumindest sogenannte „Varianten“ oder „Skivarianten“ – oder man fuhr einfach wie seit eh und je auf eigene Faust fernab der Pisten gen Tal.
In alteingesessenen Skigebieten respektive auf etwas älteren Skigebiets-Übersichtskarten findet man heute noch „Varianten“ verzeichnet, andernorts sind eigene „Freerideareas“ ausgewiesen. Aber tatsächlich bietet fast jedes Skigebiet den einen oder anderen Geheimtipp im „Abseits“. Wichtig: Mit Verlassen der ausgewiesenen und markierten Pisten übernimmt man selbst die Verantwortung, sollte wissen, worauf man sich fahrtechnisch wie auch in Sachen Lawinen, Routenplanung, Orientierung und Co. einlässt. Nur zu oft liest man etwa von Skifahrern, die blind einer Spur in den Tiefschnee folgen – um nach einigen Hundert Tiefenmetern zu erkennen, dass der Spuranleger mit Fellen wieder zurück aufgestiegen ist.
Wir haben uns mit Berg- und Skiführer Michael Mautz von der Alpinschule „highlife“ und Peter Egger, Marketing Manager bei HEAD und selbst Skiführer, über das Thema Freeriden unterhalten und einige Tipps für deine (ersten) Schwünge abseits der Pisten zusammengetragen.
Nur mit Sicherheitsausrüstung
Freeriden hat viele Gesichter. Mal findet sich die Abfahrt, die sogenannte „Line“, direkt vor dem Liftausstieg oder neben der Piste, mal sind ein paar Meter zu Fuß zurückzulegen und manchmal werden für den Weg zum Einstieg oder zurück ins Skigebiet sogar Felle, Tourenbindungen und Schuhe mit Gehmechanismus nötig. Die oft vorhandene Nähe zur Piste mag dabei eine trügliche Sicherheit vermitteln. Doch: Wer den abgesicherten Skiraum verlässt, für den gilt, was auch für Skitourengeher Gültigkeit hat: Neben dem notwendigen skifahrerischen Eigenkönnen, das mitzubringen ist, sollte man sich des Geländes (Felsen, Dolinen, Gletscherspalten, Bäche, Geländeabbrüche) und der alpinen Gefahren bewusst sein. Hinsichtlich Notfallausrüstung gilt es, gut ausgestattet und auch im Umgang damit geschult sein. „Leider sieht man viel zu oft, dass Leute ohne adäquate Ausrüstung die gesicherten Pisten verlassen. Bei jeder Fahrt im freien Skiraum gehört die Notfallausrüstung, bestehend aus LVS-Gerät, Schaufel und Sonde sowie Erste-Hilfe-Paket, in den Rucksack. Ein Mobiltelefon gehört auch dazu, aber dies ist in der heutigen Zeit ja eher weniger das Problem“, rät Peter Egger Freeridern zur eigenen, aber auch zur Sicherheit anderer.
Warum, das ist schnell erklärt, denn „ohne LVS kann man selbst bei einem Lawinenunfall nicht oder nur sehr schwer gefunden werden. Umgekehrt kann man selbst niemandem helfen, wenn das LVS-Gerät oder auch Sonde respektive Schaufel fehlen“. Hervorzuheben sind hier aber zwei Details, die eng an eine regelmäßige und gute alpine Ausbildung respektive den Besuch von Lawinen- und Geländekursen oder Freeride Camps geknüpft sind. Erstens: Wer sich mit Fachwissen und Geduld an die Planung seiner „Lines“ und Abfahrten macht, kann viele unnötige Risiken bereits im Vorfeld ausräumen. Und: Im Ernstfall hilft es wenig, die Ausrüstung nur mitzuführen. Der richtige Umgang damit gehört regelmäßig geübt. Nur dann kann eine möglichst effiziente Rettungskette in Gang gesetzt werden.
Zu Pionierzeiten des Skisports war eigentlich jeder Skifahrer ein Freerider.
Planung ist alles
Hat man vor, ins Gelände zu fahren, gehört für Michael Mautz die eingehende Beschäftigung mit dem regionalen Lawinenlagebericht zum guten Ton. Dabei ist die Kenntnis der Warnstufe für ihn maximal ein guter Anfang, erst das Lesen des vollständigen Lawinenlageberichts – im Winter in Österreich bereits am Vorabend unter www.lawine.at abrufbar – gibt wirklich Aufschluss über die tatsächlichen Gefahren (stellen). Und auch wenn man eigentlich gar nicht vorhat, sich in vermeintlich exponierte Bereiche zu begeben, rät Mautz zur eingehenden Information. Denn einmal falsch abgebogen, kann die flache Waldabfahrt schnell in steiles Gelände führen, können Rinnen das Gelände durchziehen. Wie man den Lagebericht richtig interpretiert? Auch das lernt man in von Alpinschulen und -vereinen angebotenen Kursen.
Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Wetterlage. Beim Freeriden können Wetterumschwünge schneller zu Orientierungsproblemen führen, als manchem lieb sein mag. Auch hier rät Mautz zum etwas detaillierteren Wettercheck: Nicht bloß die Piktogramme am Smartphone-Bildschirm überfliegen, sondern den gesamten Bericht lesen.
Aus Wetter, theoretischer Lawinenlage und Eigen- sowie Gruppenkönnen ergibt sich dann der Rahmen der Möglichkeiten für die eine oder die andere Freerideline. Die angedachte Route, so Mautz, sollte man dann möglichst selbst in eine Karte umlegen, um dort schon vorab etwaige Gefahrenstellen zu identifizieren – ein Rat, den er übrigens auch klassischen Skitourengehern gerne mit auf den Weg gibt. Auch sollte man vor Ort nicht blind irgendwelchen Spuren folgen, sondern seine eigene Spur mit Bedacht ziehen, an längeren Tagen die Bedingungen (Sonneneinstrahlung etc.) im Auge behalten und bei unpassenden Bedingungen auch den „Mut“ haben, Nein zu sagen.
Free to ride – die Rolle des Fahrkönnens
All den warnenden, ermahnenden Worte zum Trotz ist Freeriden aber vor allem eines – purer Genuss. Gut ausgerüstet und durch Kurse entsprechend geschult, fehlt eigentlich nur noch eine Sache zum eleganten Spiel mit Pulver, Firn, Eis und Buckeln, mit weiten Schneefeldern, engen Rinnen und quirligen Waldabfahrten: das eigene Fahrkönnen.
Die wichtigste Grundvoraussetzung fürs Freeriden? Geht es nach Peter Egger, steht eine solide Fahrtechnik auf der Piste über allem. Als kompletter Anfänger ist man im Gelände fehl am Platz. Der unmissverständliche Rat: Tastet euch langsam heran. Als Freeride-Einsteiger sollte man sich anfangs nicht zu weit von der Piste entfernen und mit gemächlicheren Hangneigungen beginnen. Offene Felder und Flächen sind zudem für den Start deutlich einfacher zu bewältigen, als direkt in einen engen Treerun einzutauchen.
Außerdem ist es immer ratsam, sich für den Einstieg die Erfahrung von Ski- oder Bergführern zunutze zu machen oder eines der mittlerweile zahlreichen Freeride Camps zu besuchen. „Mittlerweile gibt es ja für alles Onlinekurse und Youtube-Videos. Das finde ich grundsätzlich nicht schlecht, in diesem Fall bin ich aber kein Fan davon. Die richtige Fahrtechnik lernt man am schnellsten, wenn man direktes Feedback bekommt“, pocht Peter Egger für Ein- und Aufsteiger stets darauf, sich für den Anfang einen Skilehrer/Guide zu nehmen.
Die Materialwahl
Vielfach werden Ski-Tests und Freeride-Camps in den großen Skigebieten kombiniert – dort lässt sich für Einsteiger dann im Kurs- und Testangebot aus dem Vollen schöpfen. Denn nicht nur das Wissen und Können, auch das Material weiß im Gelände das seine zum Fahrspaß beizutragen. Moderne Freerideski – bei HEAD, um hier in Peter Eggers beruflichem Umfeld zu bleiben, unter der KORE-Linie vermarktet – sind breiter als normale Pistenski und bieten einen besseren Auftrieb im Tiefschnee. Zudem sind sie in der Regel so konstruiert, dass sie im Gelände wesentlich einfacher und fehlerverzeihender zu fahren sind als klassische Alpinski. Seitens der Schuhe reicht für die ersten Lines ein normaler Alpinschuh aus. Will man neben der Abfahrt auch einen kurzen Anstieg meistern, helfen Freeride-Boots mit Gehfunktion.
Zugegeben, ganz ungefährlich ist es nicht, das Skifahren in seiner reinsten Form. Doch mit einer Portion Hausverstand und guter Vorbereitung in Form von Kursen und Camps hebt man abseits der Pisten den Abfahrtsspaß garantiert aufs nächste Level und kann das Risiko zumindest reduzieren. Eine oder mehrere der 20 Freeride-Klassiker aus unserer Übersicht auf die eigene Bucket-List zu setzen, steht dann eigentlich nichts mehr im Weg.
Hier geht's zu unseren