Das kannst du auch! Parkour ist eine der ästhetischsten Sportarten – und nicht nur Profis mit extremer Körperbeherrschung vorbehalten. Sondern auch für jeden Hobbysportler eine Möglichkeit, die fad gewordene Trainingsrunde aufzupeppen.

Linda Freutel


Was geht in einem Menschen vor, der im Handstand an der Dachkante eines Hochhauses balanciert? Der Treppen zur U-Bahn mit zwei großen Sätzen herabspringt? Oder 5-Meter-Mauern mit bloßer Muskelkraft erklimmt, um sich auf der anderen Seite wieder herabzustürzen? Solche Menschen sind Traceure; so lautet die korrekte Bezeichnung für Sportler, die Parkour betreiben. Und was in ihnen vorgeht? Waghalsigkeit ist es nicht. Todessehnsucht ebenso wenig. Und die Suche nach dem ultimativen Adrenalinkick ist es auch nicht.

In erster Linie geht es darum, Grenzen zu überwinden – körperliche und mentale. Die Umwelt abseits der gewöhnlichen Wege zu erkunden, sich eigene Routen zu suchen und Hindernisse kunstvoll und sicher zu überwinden, das ist das Mittel. „Dabei stärken wir uns und erweitern unsere körperlichen und mentalen Grenzen. Genau diese Fähigkeit ist uns später in Extremsituationen hilfreich", sagt Thomas Stoklasa – aka TOM; ­Parkour-Coach und Mitgründer von www.parkour-austria.at in Wien.

PARKOUR IST KOPFSACHE
Für Freunde des Parkour-Sports gibt es keine Grenzen oder Hindernisse. Was sich ihnen in den Weg stellt, wird überwunden. Und zwar nicht nur im Park oder in der City, sondern auch im Rest des Lebens. „Viele Hürden sind für uns körperlich absolut kein Problem, aber wir müssen diese erst im Kopf ‚freischalten'. Dies beginnt bei vielen schon auf einem halben Meter Höhe." Im Alltag gilt das Gleiche: Wer innere Ängste, Grenzen und Unbehagen zu sprengen lernt, kann in Folge freier durchs Leben gehen. Man kann sich treiben und fallen lassen, ohne Angst, dass etwas passiert. Als Traceur weiß man, dass man weich landet. Man hat es schließlich schon dutzende Male geübt.

JEDER KANN ES!
Wer nun denkt: „Schön – aber bloß einer Minderheit vorbehalten", der irrt sich. Parkour ist alltags- und laientauglich. „Sehr sogar", betont TOM. „Da jeder nach seinem persönlichen Trainings- und Leistungslevel trainiert, ist der Sport für nahezu jeden geeignet. Es gibt Eltern-Kind-Trainings ebenso wie Pensionisten-Kurse. Wir trainieren mit Personen, die ihr Leben noch nie ernsthaft Sport ausgeübt haben, bis hin zu professionellen Athleten."

Mit kleinen Parkour-Einheiten kann im Grunde jeder Hobbyläufer, dem seine urbane Hausrunde zu fad wird, Abwechslung in den Trainingsalltag bringen, neue muskuläre Reize setzen, Koordination und Beweglichkeit schulen und Verletzungen vorbeugen. Und ganz nebenbei selbstsicherer werden – im Sport wie auch sonst im Leben.

MITEINANDER STATT GEGENEINANDER
„Jeder von uns hat klein angefangen", betont TOM und ergänzt: „Im ersten Trainingsjahr gilt: Nicht höher herunterspringen, als man groß ist." Die Kräfte die auftreten, dürften nicht unterschätzt werden: „Sieht man einen Profi bei vermeintlich waghalsigen Sprüngen, darf man nicht vergessen, dass tausende Trainingsstunden dahinter stecken. Die Protagonisten wissen, was sie tun." Sich selbst richtig einzuschätzen, lernt man auch beim Training. Übrigens ganz ohne direkten Vergleich zu Mitsportlern. Beim Parkour gibt es kein Gegeneinander, Wettkämpfe finden keine statt. Stattdessen tourt man mit Freunden durch die Umgebung, lernt voneinander, hilft sich und feiert einander, wenn ein neuer Sprung oder Trick klappt.

IN DER UMWELT, FÜR DIE UMWELT
Dass Traceure von Passanten argwöhnisch angeschaut werden, kommt vor. „Aber es stört uns nicht", so TOM. Für ihn und alle übrigen Traceure ist es selbstverständlich, keine Privatgrundstücke oder Autos als Trainingsspots zu nutzen. Der respektvolle Umgang mit der Umwelt zählt überhaupt zu den Grundwerten des Trendsports. Wo Spots zu finden sind, liegt ansonsten in der Fantasie des Sportlers. Fürs Erste kann es die Parkbank sein, die mit einem eleganten Sprung überwunden werden will; die kleine Mauer, auf der man balanciert; ein Poller, den man hüpfend hinter sich lässt.

Wozu der Experte jedoch rät: die ersten Einheiten nicht alleine absolvieren. „Gerade die ersten Tipps und Feedbacks von Parkour-Athleten mit genügend Coachingerfahrung sind wichtig, damit sich keine Fehler einschleichen, die sich auf die Gesundheit negativ niederschlagen können." Trainingsangebote und Workshops gibt es mittlerweile in jeder österreichischen Großstadt. Und ansonsten braucht es nicht viel. Ein bequemes Sportoutfit und ein paar Sportschuhe genügen, um loszulegen.

ERFAHRUNG IST DIE BESTE AUSRÜSTUNG
Von Protektoren für Knie und Ellbogen rät der Profi auch Anfängern ab, weil sie die Beweglichkeit zu sehr einschränken. Auch Schuhe mit ausgeklügelten Dämpfungselementen braucht man nicht – denn ein guter Traceur springt ohnehin immer nur so tief und intensiv, wie er sich selbst gut abfedern kann. Die Techniken dafür lernt er im Training. Den Rest lehrt ihm der Sport. Und natürlich: der eigene Geist. Der macht auf diesem ganz eigenen Weg durch die Welt den größten Erfolgsfaktor aus.

Thomas Stoklasa
Thomas Stoklasa

ist Mitgründer und ­Geschäftsführer von ­www.parkour-austria.at,­­ betreibt Parkour seit 2004 und unterrichtet es seit 2006. Der Wiener hat auch an der weltweit einzigen Parkour-Coaching Zertifizierung (A.D.A.P.T.) inhaltlich mitgewirkt.