Naturfreunde - Wir leben Natur / Bild: www.naturfreunde.at„Die Berge sind unser eigenes Spiegelbild", sagt der Bergführer und Psychologe Dr. Ronald Newerkla. Wie das gemeint ist, ob der aktuelle Outdoorboom auch mit dem Zeitgeschehen zusammenhängt und wie man die „Macht der Berge" für sich bestmöglich nutzen kann: Das wollen wir mit dem Experten ergründen.


Man muss gar nicht regelmäßig auf Gipfeln stehen und herabschauen, um dieses Phänomen nachvollziehen zu können. Einen markanten Berg nur aus der Ferne zu betrachten, lässt kaum jemanden kalt. Er strahlt etwas Mächtiges, Ergreifendes, Schönes – unter Umständen aber auch Bedrohliches aus. „Der große Berg und der kleine Mensch" – das Motiv ist uralt. Doch gibt es dafür aus psychologischer Sicht eine schlüssige Erklärung?

„Berge sind ein ‚psychologisches Konglomerat' – sie können schön, anziehend und auch abschreckend und bedrohlich wirken", meint Mag. Dr. Ronald Newerkla dazu. Der Bergführer, Bergsteiger und Wirtschaftspsychologe aus St. Pölten, der häufig mit Managern arbeitet und seine Erfahrung aus dem Bergsport einfließen lässt, erzählt dazu diese Begebenheit: „Als ich im Basislager des Nanga Parbat gesessen bin, hat die Druckwelle einer Lawine aus der Diamir-Flanke fast unsere gesamten Zelte niedergedrückt. Das war Bedrohung pur. Zwei Stunden später, von der Abendsonne beleuchtet, wirkte der Berg friedlich und durch diese Ausstrahlung ließ auch unsere Anspannung nach. Die Bedrohung wich, das Mächtige und Ergreifende stand nun vor uns – umrahmt von Schönheit."

Woher kommt es also, wie wir einen Berg empfinden? Zumindest zum Teil aus uns selbst, sagt Newerkla. „Nicht nur objektive Gegebenheiten zeichnen das Bild vom Berg: Auch unsere subjektiven Empfindungen entscheiden, ob wir im Berg etwas Mächtiges, Schönes, Ergreifendes oder Bedrohliches – oder von allem etwas sehen. Die Berge sind letztlich wir selbst: unser eigenes Spiegelbild."

Noch ein Phänomen, das zum aktuellen Outdoorboom passt: Wenn man in eine grüne Umgebung statt in eine „Betonwüste" schaut, sinkt der Stresspegel messbar. Auch das kann Newerkla bestätigen: „Wir wissen tatsächlich, dass Patienten im Krankenhaus mit Blick ins Grüne rascher gesunden." Warum das so ist, sei nicht so genau geklärt. „Wenn wir uns aber fragen, was wir mit einer grünen Landschaft verbinden – Aufblühen, Harmonie, Gleichgewicht, Kraft, Energie usw. – so sind das alles Dinge, die wir zum Gesundbleiben gut brauchen können und die als ‚geistige Nahrung' genauso beim Gesundwerden helfen können."

RUHEZONEN UND RÜCKZUGSORTE
Dass die Berge und die Natur die Menschen anziehen, kann also nicht verwundern. „Sie bieten Ruhe und ermöglichen die innere Einkehr. Gerade in einem stressgeplagten, hektischen Alltag werden solche Rückzugsorte wichtiger." Aus Untersuchungen wisse man, dass der erlebte Erholungsfaktor ins Tal mitgenommen wird und in den Alltag hineinwirkt.

Vor diesem Hintergrund passt es denn auch gut in die Zeit, dass Erlebnisse in der Natur und in den Bergen von vielen Menschen wieder gesucht werden. „Wir erleben immer mehr Ereignisse, die sich als unvorhersehbar und unkontrollierbar erweisen. Naturkatastrophen, Terroranschläge oder die Sorge um den Arbeitsplatz. Menschen brauchen aber gerade in ihrer näheren Lebensumgebung das Gefühl von Kontrolle und Vorhersehbarkeit", sagt Ronald Newerkla.

Fehlten solche Kontrollmöglichkeiten, könnten ernsthafte physische wie psychische Erkrankungen die Folge sein. „Bergsteigen ermöglicht nun Menschen, mit der Natur und mit sich selbst in Kontakt zu treten. Man erwirbt dabei auch das Gefühl, dass eigene Leistungen und Anstrengungen zu einem Ziel führen können. Etwas, was im heutigen Berufsleben mehr und mehr verschwindet."

STÄNDIG IN KONKURRENZ
Apropos Leistung: Manchen geht es in der Natur um ein Herauskommen aus dem Alltag und um die Erholung – „Leistungsbeweise" wie erreichte Gipfel treten in den Hintergrund. Anderen ist es dagegen sehr wohl sehr wichtig, sportliche Leistungen zu erbringen. Was steht nach Einschätzung des Experten beim derzeitigen Outdoorboom im Vordergrund? „Es sind mit Sicherheit alle angesprochenen Phänomene zu finden. Doch gerade wenn man mit stressgeplagten Managern zu tun hat, stellt man oft fest: Leistung und Performance spielen im Beruf wie im Freizeitleben die gleiche Rolle. Die gehen nicht gemütlich Bergsteigen, sondern konkurrieren sich dort genauso mit anderen", weiß Newerkla.

Viele würden Ruhe und Nachdenken gar als etwas Bedrohliches empfinden. „Nachdenken über das eigene Tun kann bei solchen Menschen große Unsicherheit hervorrufen, deshalb betäuben sie sich gerne mit einem sportlichen Kick nach dem anderen. Sie flüchten dann vor ihrer Familie, vor der eigenen inneren Leere. Beschäftigt sein ist das Wichtigste", übt der Psychologe Kritik. Doch Leistungswille am Berg, sich Herausforderungen zu stellen, sei andererseits natürlich positiv zu sehen – es sei alles eine Frage der Herangehensweise: „Das bergsportliche Unternehmen muss sich mit den übrigen Lebensaufgaben vereinen lassen: Es braucht die Zeit, die Energie und das nötige Training dazu".

SCHULE FÜRS LEBEN
(Berg-)Sport sei daher „mit Sicherheit eine Schule fürs Leben", meint Newerkla. Er lehre uns Ziele konsequent zu verfolgen; aber auch mit Niederlagen und Rückschlägen konstruktiv umzugehen: „Sportliche Herausforderungen brauchen körperliches Training und mentale Ressourcen: Dies beginnt schon damit, dass ich eine Herausforderung annehme und nicht vor ihr zurückschrecke. Und mir in weiterer Folge dann einen Plan mache, wie ich sie meistern kann." Erfahrungen solcher Art könnten überall im Leben und speziell auch im Berufsleben natürlich sehr helfen.

Bleibt abschließend noch die Frage: Wie geht man nun sinnvoll mit der Herausforderung in den Bergen um, um das Erholungspotenzial einerseits und die Möglichkeit, am „Berg zu wachsen", andererseits optimal zu nutzen? Für Newerkla geht es hier um die rechte Balance. „Goethe schrieb einmal: ‚Die Berge sind stumme Meister und machen schweigsame Schüler.' Wenn wir auch als Professionisten, die wir beispielsweise als Bergführer ja sind, in die Berge gehen und dabei trotzdem immer Lehrlinge bleiben, so erhalten wir uns immer die Bereitschaft zum Lernen."

Eine Grundvoraussetzung für Persönlichkeitsentwicklung sei die Fähigkeit zur Reflexion, betont der Psychologe, „Dinge zu analysieren und die Lehren daraus zu ziehen. Etwa, sein aktuelles Können mit den momentanen Herausforderungen in Einklang bringen. Es geht also darum, sich durchaus die Latte hoch zu legen, sich zu fordern – dann aber soll wieder etwas Gemütliches folgen. Geist wie Körper brauchen die Anspannung, aber genauso die Entspannung."

Unser Experte:MAG. DR. RONALD NEWERKLA aus St. Pölten (NÖ) ist
Wirtschaftspsychologe, Trainer, Coach, Bergführer und Bergsportler.

E-Mail: ronald.newerkla@aon.at
Web: www.ronald-newerkla.at



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